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Datum: 02.10.2013 Uhrzeit: 08:57

SCI-Studie: Reisezugwagen bleiben Alternative zu teureren Trieb- und Hochgeschwindigkeitszügen

Im letzten Jahrzehnt waren sich alle Eisenbahnexperten einig: In Europa werden zukünftig allein moderne Trieb- und Hochgeschwindigkeitszüge das Bild des hochwertigen Schienenpersonenverkehrs prägen. Reisezugwagen mit ihrem angestaubten Image schienen in den Beschaffungsplänen der großen Bahnen kaum eine Rolle mehr zu spielen. Doch die lokbespannten Reisezugwagen haben gegenüber Triebzügen auf vielen Relationen kaum betriebliche Nachteile, sind flexibler und oft günstiger. Vor dem Hintergrund knapperer Mittel und einem kostengetriebenen Wettbewerb wird dieser Fahrzeugtyp daher auch bei Europas Bahnen für ausgewählte Projekte wieder nachgefragt. Weltweit werden neue Reisezugwagen vor allem in Indien, China und Russland beschafft – Europa spielt kaum mehr eine Rolle. Allein diese drei Länder machen knapp drei Viertel des Weltmarkts aus. Zu diesem Ergebnis kommt die Analyse der SCI Verkehr in ihrer neunen Studie „Reisezugwagen – weltweite Marktentwicklungen 2012-2017“.

Europa: Doppelstockwagen im Fernverkehr echte Konkurrenz zu Triebzügen

Der Trend der fortlaufenden Substitution lokbespannter Reisezugwagengarnituren durch moderne Triebzüge galt lange als Sinnbild europäischer Eisenbahnentwicklung im Personenverkehr. Zuletzt verschwanden gerade erst die doppelstöckigen Reisezugwagen des Airport-Express in Berlin und wurden durch einstöckige Triebzüge ersetzt. Im Nah- und Regionalverkehr war nun zu erwarten, dass ausschließlich Doppelstocktriebzüge beschafft werden würden. Nach Abschluss der Auslieferung von Doppelstockfernverkehrswagen schien der Fahrzeugtyp in Deutschland keine weitere Perspektive zu besitzen. Aufgrund der Kostenvorteile lokbespannter Züge gegenüber anderen Fahrzeugtypen werden nun allerdings ab 2016 in Bayern doch doppelstöckige Reisezugwagen mit Geschwindigkeiten bis 200 km/h in Dienst gestellt, welche die betriebliche Grenze zwischen Nah- und Fernverkehr verschwimmen lassen. Mit dem Hersteller Skoda tritt gleichzeitig ein neuer Hersteller von Reisezugwagen und Lokomotiven in den deutschen Markt ein. Auch im Fernverkehr hat die DB AG kostenintensive ICx-Triebzüge abbestellt und im Ausgleich die preisgünstigeren Doppelstockwagen für den Fernverkehr geordert.

In Österreich ist der aus Reisezugwagen bestehende Railjet bereits das neue Gesicht des Fernverkehrs, in der Tschechischen Republik wird er es werden. In Belgien sollen entgegen Vermutungen vergangener Jahre durch die Inbetriebnahme weiterer 450 M6-Wagen ebenfalls die traditionellen Doppelstockwagen das Rückgrat der Flotte bleiben. Analog des beobachteten Strategiewandels scheint nun selbst in Ländern wie Frankreich oder der Schweiz die bereits beschlossene vollständige Abkehr vom Reisezugwagen nicht mehr als unumstößlich. Derzeit noch folgt die PKP Intercity in Polen dem Beispiel vieler westlicher Anbieter und gibt Reisezugwagenbestellungen zugunsten der Beschaffung neuer Pendolinos und Triebzüge vorerst auf, doch ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Auch hier können die Kostenvorteile der Einzelwagen die Entscheider noch einmal neu überlegen lassen.

Es bleibt im Ergebnis festzuhalten, dass das Marktvolumen neuer Reisezugwagen in Europa zwar insgesamt aufgrund des grundsätzlichen Trends der Substitution weiter sinkt, trotzdem aber interessante Einzelprojekte wieder auf die moderne lokbespannte Lösungen – insbesondere im Bereich des Doppelstocks - setzen.

Welt: Indien, China und Russland treiben den Weltmarkt

Anders als in Europa stellen lokbespannte Reisezugwagen vor allem in den asiatischen Weltmarktregionen das verlässliche Rückgrat des Schienenverkehrs dar. Über die Hälfte der mehr als 35 000 zwischen 2008 und 2012 ausgelieferten Wagen verkehrt nun in den TOP-Märkten China, Indien und Russland. Während im größten Land der Welt zuletzt anstatt hoher Beschaffungszahlen das Augenmerk auf hochwertigen Fahrzeugen mit Beteiligung westlicher Hersteller lag, versuchen die Staatsbahnen in Indien und China in erster Linie der rasch steigenden Nachfrage nach Personenverkehren mit sehr hohen Beschaffungsvolumina neuer Wagen zu begegnen. Erst zuletzt bekamen Qualitätsmerkmale wie Sicherheit und Klimatisierung mehr Aufmerksamkeit.


Wurde im betrachteten Zeitraum noch etwa die Hälfte des Marktvolumens mit 75 % aller Wagen erzielt, werden auch in Indien und China die Fahrzeugkosten in den nächsten Jahren deutlich steigen. Indien etwa beabsichtigt den langfristigen Ersatz aller derzeitigen Standardwagen durch 200 km/h schnelle Wagen nach LHB-Design mit höheren Sicherheitsstandards. Die Umsetzung des Planes ist in fernerer Zukunft auch realistisch, sofern eine in Ansätzen erkennbare landesweite Wirtschaftskrise der indischen Bahn nicht die notwendigen finanziellen Mittel raubt.

Weltmarkt: Flottenerneuerungsprogramme lassen hohe Marktvolumina erwarten

In Nordamerika und Afrika sind es vor allem die geplanten Flottenerneuerungsprogramme der Fernverkehrsbetreiber Amtrak (USA) und Shosholoza Meyl (Südafrika), in deren Rahmen im Verlauf der nächsten Jahre mehrere hundert Fahrzeuge die vielfach sehr alten Bestände verjüngen sollen. Analog realisiert dies derzeitig die kasachische Staatsbahn KTZ in Partnerschaft mit dem spanischen Hersteller Talgo. In den USA jedoch wurde das Programm in den letzten Jahren mehrfach überarbeitet und reduziert, die Umsetzung in Südafrika ist ebenfalls stark von den finanziellen und politischen Rahmenbedingungen des Landes abhängig. Während die ersten Fahrzeuge an Amtrak bereits ausgeliefert werden, befindet sich das Projekt in Südafrika noch in der Planungsphase.

Die Marktstudie „Reisezugwagen – Weltweite Marktentwicklungen 2012-2017“ ist ab Oktober 2013 in deutscher Sprache und Mitte November in englischer Sprache erhältlich bei der SCI Verkehr GmbH (www.sci.de).

Quelle:/Fotos: SCI Verkehr GmbH